Was für eine Chance!

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Was wir derzeit erleben, ist für uns alle neu: Eine Virus breitet sich aus, durch Deutschland, durch Europa, hat sich bereits zur Pandemie entwickelt. Plötzlich müssen wir unser Miteinander umstellen, es ist “Social Distancing” angesagt – Abstandhalten zum nächsten. Selbst für diejenigen, die im üblichen Alltagstrott nicht viele Kontakte mit anderen haben, erleben mit einem Mal als Einschränkung, sich nicht selbstbestimmt mit einer beliebigen Anzahl an Menschen umgeben zu können. Doch das ist nicht alles.

Sehr viele Menschen gelten als Verdachtsfall einer Infektion, viele haben sich bereits mit dem Virus infiziert, etliche liegen auf Intensivstationen, und wir haben in Deutschland mittlerweile mehr als 1.000 Tote zu beklagen. Und gleichzeitig wissen wir, dass wir noch vor dem Beginn der ersten Welle stehen. Der Ausbruch des Virus wird also erhebliche Auswirkungen auf uns haben – sowohl im Umgang als auch mit der Möglichkeit des Verlusts lieb gewonnener Menschen.

Schaut man in die Zukunft, so erkennt man, dass für eine Gesellschaft mit dem Ende dieser Bedrohung immer die Chance auf etwas großes einhergeht. Die Möglichkeit zu wachsen. Gemeinsam eine Pandemie zu durchleben oder vergleichbare andere große Ereignisse, die mit erheblichen Veränderungen im Miteinander und dem Leid durch Tote einhergehen, bieten Potential für die Zukunft. Indem wir nach einem solch traumatischen Erlebnis gelernt haben, dass wir gemeinsam etwas schaffen können. Dass wir eine starke Gesellschaft sind, die nun auch andere Aufgaben angehen kann. Aufgaben, die vor einer solchen Krise groß und schwierig wirkten, aber angesichts der Pandemie mit ihren bestandenen Herausforderungen deutlich relativiert werden müssen und nun nahezu banal wirken. Bei allem Leid und den Schwierigkeiten, die wir durchleben ist dies für mich das Licht am Ende des Tunnels. Möglicherweise trauen wir uns endlich, notwendige Veränderungen in unserem Sozialstaat anzugehen, einigen uns auf eine Bildung für die Zukunft, wissen besser, wie wir Pflege und Betreuung organisieren. Und verzichten auf Pseudo-Maßnahmen wie Überwachung, die wie U-Boote als Pseudo-Maßnahmen durchgewunken werden, während wir Menschen uns mit anderen Problemen beschäftigen.

Damit wir aber nach dieser Krise die volle Power haben, und uns gemeinsam stark fühlen, ist es ungemein wichtig, dass wir in der Krise uns als große gemeinsame Gruppe erleben. Eben als eine Gemeinschaft. Dass wir eins sind, dass wir eben während der Krise zusammenstehen.

An anderer Stelle rief ich schon zu Solidarität miteinander auf. Für das Ziel, aus der Pandemie als stärkere Gemeinschaft hervorzugehen erfordert aber mehr. Es ist dafür zwingend notwendig, dass wir in den kommenden Monaten nicht der Versuchung erliegen, Feindbilder zu pflegen. Dass wir nicht beginnen, uns als Gruppe zu spalten. Dass wir nicht beginnen, die Krise als Gelegenheit zu sehen, ideologische Grabenkämpfe zu provozieren, und so einen Keil in die Gesellschaft treiben. Denn damit werden wir das Fundament zerstören, dass uns in der Zukunft dazu befähigen kann, uns weiterzuentwickeln.

Die Krise gibt uns bereits jetzt viele Einsichten. Darüber, wo wir an einigen Schrauben drehen müssen – gesundheitspolitische, bildungspolitische, arbeitspolitische, und vieles mehr. Damit wir daraus lernen können, uns weiter entwickeln können, wachsen können, brauchen wir nun die Disziplin, einander anzuerkennen und den Beitrag jedes einzelnen von uns wertzuschätzen. Dann gibt es für uns jeden guten Grund, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Für ein gesundes Deutschland, für ein gesundes Europa.

von Sebastian Alscher